Schnell erfahren: Tipps und Tricks für Ein- und Aufsteiger Teil 1
Der Begriff Windfenster weckt unterschiedlichste Assoziationen bei all jenen, die ihn zum ersten Mal hören, und selbst erfahrene Kiter kommen bei der Erläuterung mitunter ins Schlingern. Kiteexperte und Sportwissenschaftler Timo Sternemann geht dem Fenster des Windes auf den Grund.
Nein, beim Windfenster handelt es sich nicht um das Fenster zum Wind, welches auf dem Weg zur Session durchstiegen werden muss. Vielmehr beschreibt dieser Begriff den Aktionsbereich des Kites, der sich wiederum aus Regionen zusammensetzt, die Namen wie Zenit, Powerzone oder Softzone tragen. Gerade Einsteiger hören über das Windfenster häufig schon viel zu viel, bevor sie überhaupt zum ersten Mal einen Kite in der Hand halten. Der Lehrer überflutet den Schüler mit Informationen vom Windfensterrand, der Start- und Landeposition, böigem Wind, schwachem Wind und starkem Wind, während der völlig Unwissende im Grunde nur noch Bahnhof versteht. Ganz einfach zusammengefasst ist das Windfenster der Bereich, in dem der Kite fliegen kann. Punkt. Das Zentrum bildet der Pilot und die Leinenlänge bestimmt die Ausdehnung des Windfensters.
Was nur wenige wissen: Genau genommen gibt es zwei Arten von Windfenstern. Das statische oder reale und das dynamische oder relative. Vom statischen Windfenster wird gesprochen, wenn der Pilot steht, ohne sich zu bewegen. Diese Viertelkugel erstreckt sich – je nach Kitemodell und Windstärke – etwa im 90-Grad-Winkel zum Wind (siehe Grafik). Der Halbwindkurs kann quasi als „Begrenzungslinie“ verstanden werden. Der Bereich des Windfensterrands reicht vom Boden bis genau über den Piloten, während sich die Powerzone exakt vor ihm befindet. Der Über- gang von Windfensterrand zu Powerzone wird als Softzone bezeichnet.
Über die Gründe, warum der Kite beispielsweise in der Powerzone mehr Kraft entwickelt, kursieren viele Gerüchte und Spekulationen, überschlagen sich an nahezu jedem Strand. „In der Powerzone ist der Anstellwinkel zum Wind am größten. Deshalb fängt der Kite mehr Wind ein.“ Solchen Aussagen sollte man nicht nur keine Aufmerksamkeit schenken, sondern sie bestenfalls auch ganz schnell wieder aus dem Gedächtnis löschen. Für den Kite ist lediglich der relative Wind entscheidend, der sich aus dem atmosphärischen Wind und dem Fahrtwind zusammensetzt. Aus Sicht des Sportgeräts kommt der Wind daher immer nahezu aus derselben Richtung. Nämlich grob gesagt von vorn, dort wohin die Anströmkante zeigt.
Der Windfensterrand beschreibt hingegen einen Bereich, der wirklich einzigartig ist und sozusagen die Ruhezone darstellt. Denn gegenüber al- len anderen Bereichen des Windfensters ist dies der einzige Ort, an dem der Kite geparkt werden kann, ohne dass er große Zugkraft entwickelt. Das ist möglich, weil der Schirm dort keine Eigengeschwindigkeit besitzt. Er steht auf der Stelle und fliegt nur so weit nach Luv, wie es sein Profil zulässt. Ein dickes Profil fliegt nicht so weit nach Luv wie ein schlankes Profil mit wenig Angriffsfläche und entsprechend geringem Widerstand. Am Windfensterrand umströmt die Luft den Kite also nur mit der
Geschwindigkeit des atmosphärischen Windes, wodurch kaum Zugkraft entsteht. Würde der Kite an dieser Position bereits ordentlich ziehen, wäre er schlicht zu groß für die herrschende Windstärke.
Sobald der Kite allerdings in Bewegung gesetzt wird, entfernt er sich vom Windfensterrand, bekommt eine Eigengeschwindigkeit und baut mehr Zug auf, da zum atmosphärischen Wind nun noch der Fahrtwind hinzukommt. Die Summe ist der relative Wind. Je energischer der Kite vom Windfensterrand weggesteuert und je später gegengesteuert wird, um ihn zurück in Richtung Windfensterrand zu fliegen, desto schneller wird er und zieht entsprechend stärker. Bis der Kite die Powerzone erreicht hat, ist er bereits sehr schnell. Er hatte viel Anlauf, um zu beschleunigen. Der Fahrtwind nimmt also intensiv zu und ergibt zusammen mit dem atmosphärischen Wind einen starken relativen Wind, der das Kiteprofil anströmt und den intensiven Zug in der Powerzone erzeugt.
Zusammengefasst entwickelt ein Kite, der schnell fliegt, also auch entsprechend starken Zug. Werden hingegen Entspannung und geringer Zug gewünscht, muss der Kite geparkt werden. Und das geht nur am Windfensterrand. Soft- und Power- zone kann der Schirm immer nur durchfliegen. Aber wo steht der Kite eigentlich während der Fahrt? Also dann, wenn sich der Kiter über das Wasser ziehen lässt? Aus Sicht des Piloten befin- det sich der Schirm dann zwischen der Ein- und Zwei-Uhr- oder der Zehn- und Elf-Uhr-Position. Doch um welche Zone des Windfensters handelt es sich dabei? Man könnte vermuten, es sei die Softzone. Ist es aber nicht, denn der Kite steht am Windfensterrand. Genau genommen ganz kurz davor und erreicht ihn nicht, weil der Kiter ihm mit dem Board folgt. Er steht am Windfensterrand des dynamischen Windfensters. Das statische Windfenster beginnt nämlich, sich zu drehen, sobald der Kiter Fahrt aufnimmt.
Ursächlich dafür ist der relative Wind. In der Bewegung bekommt der Kite Fahrtwind aus der Richtung, in die es geht. So kommt der relative Wind aus Sicht des Kites nahezu entgegen der Fahrtrichtung. Genau zu diesem relativen Wind richtet sich das dynamische Windfenster aus. Wie gewohnt im 90-Grad-Winkel zur Windrichtung (hier des relativen Windes). Wäh-
rend der Fahrt ist das dynamische Windfenster das einzig existente Windfenster. Somit wird der Kite im Grunde auch während der Fahrt am Windfensterrand geparkt, auch wenn die Position viel tiefer wirkt – zumindest dann, wenn man sich am statischen Windfenster orientiert.