Neoprengeflüster

Hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch nach Wärme und einem grünen Gewissen. Neoprenexperte Kai Geffken über alternative Möglichkeiten zum klassischen Neopren und die Motivation, etwas zu verändern.

 

„Was ist das denn für ein Gestank? Ich glaube mir wird schlecht.“ Als unser Auszubildender neulich mit dieser Aussage den Verkaufsraum betrat, musste ich kurz innehalten. Er hatte Recht und mir war es zu meinem Entsetzen nicht einmal mehr aufgefallen. In unserem Verkaufsraum lag eine beißende Wolke aus Klebstoffgeruch und Chemiegestank. „Bestimmt der Kleber, der noch ausdünstet“, entgegnete ich und öffnete zügig die Fenster. Nur wenige Stunden später machte mich ein anderer Mitarbeiter darauf aufmerksam, dass der Abfallcontainer für Kunststoffe bereits wieder voll sei und er nicht wisse, wohin mit dem ganzen Verpackungsmüll. Ohne mich auf das in diesem Moment akute Problem konzentrieren zu können, schoss mir der Gedanke in den Kopf: „Hier läuft doch was mächtig falsch!“

 

Beach Clean Up, Kiter räumen auf, Safe the Ocean. Na klar, wir sind alle Natursportler und ich bin einer der Zubehörlieferanten für diesen Natursport. Doch so sauber, nachhaltig und unbelastet es draußen in der Praxis im Optimalfall zugehen sollte, so vollgemüllt und umweltschädlich gestaltet sich die Umgebung in unserer Oase des Funsports. Wir versuchen uns um die Natur zu kümmern, beruhigen unser Gewissen, indem wir ab und zu Plastikmüll am Strand wegräumen, uns über Umweltverschmutzer aufregen. Klar, wir fahren wahrscheinlich auch alle saubere Diesel-Bullis, insbesondere die Fans von VW. Ein Widerspruch, der so gar nicht zur Idealvorstellung von Natursportlern passen möchte. Wir brauchen eine intakte Natur, um unseren Sport ausüben zu können. Zugleich nutzen wir für die Ausübung genau dieser Passion Produkte, die alles andere als ökologisch vertretbar oder umweltschonend sind.

Diese Menge an Verpackungsmüll fällt bei jedem Neoprenanzug an.

Am Beispiel eines Neoprenanzugs wird das schon beim Auspacken deutlich. Was für ein Wahnsinn an Verpackungsmüll hier zusammenkommt. Der Neoprenanzug ist nicht nur einzeln in einem Karton verpackt, er ist zudem auch noch vollständig in Folie eingeschlagen. Darunter befindet sich eine dünne Schaumstofflage und auf den Glatthautbereichen ein beschichtetes Papier, damit der Anzug auf dem langen Transportweg nicht zusammenklebt. Und da sind wir auch schon beim nächsten Punkt, der dem grünen Gewissen im Weg steht, die CO2-Bilanz in die Höhe schnellen lässt. Bis ein Neoprenanzug beim Kunden landet, legt er mehrere tausend Kilometer zurück. Produziert in Thailand oder China findet er seinen Weg über Rotterdam oder Hamburg nach Europa, geht dann zum Lieferanten, von dort aus zum Vertrieb und dann zum Händler. Bestellt der Kunde noch online, macht sich die Neoprenpelle ein weiteres Mal auf den Weg quer durch die Republik. Das alles, damit uns schön warm ist.

 

Der CO2-Abdruck eines Neoprenanzugs wird nochmals schlechter, wenn man sich vor Augen hält, woraus das verwendete Material hergestellt wird und wie. Die aus einer chemischen Produktion kommenden Neoprenblöcke werden in brauchbare Neoprenscheiben geschnitten, dann in die passenden Vorlagen zerkleinert und schließlich von Hand zusammengeklebt und vernäht. Bedenkt man, welche Chemikalien und Kleber bei der Verarbeitung zum Einsatz kommen, muss man nicht persönlich in einer entsprechenden Fabrik gewesen sein, um erahnen zu können, dass die Arbeitsbedingungen ebenfalls nicht gesund sein können.

 

Vor nicht allzu langer Zeit war ich selbst auf der Suche nach einem wirklich guten Neoprenkleber, um entsprechende Reparaturen bei uns im Shop durchführen zu können. Fündig wurde ich nach ausgiebiger Recherche in England. Doch als die Bestellung dann endlich geliefert werden sollte, stellte sich heraus, dass der entsprechende Klebstoff nach EU-Richtlinien mittlerweile als gesundheitsschädlich eingestuft worden und es damit verboten war, ihn einzuführen. Zwar stand ich so weiterhin vor dem ursprünglichen Problem, gleichzeitig hat mir diese Tatsache aber auch verdeutlicht, dass wir ohne zu hinterfragen bereit sind, mit teils aggressivsten und nachweislich gesundheitsschädlichen Chemikalien in Kontakt zu treten, um unseren Natursport ausüben zu können. Ohne Neoprenanzug geht es eben nicht.

Mit dem sogenannten NaturalPrene hat Picture eine ernst zu nehmende Alternative zu Neopren geschaffen.

Die Vorstellung davon, dass es doch irgendeine bessere, sinnvollere und nachhaltigere Lösung geben müsse, ließ mir keine Ruhe und meine Neugierde trieb mich zu tiefgreifenderen Recherchen. Festgestellt habe ich dabei schnell, dass der Produzent natürlich nur dann etwas ändert, wenn der Auftraggeber etwas anderes wünscht, der Kunde bereit ist umzudenken und mit seinem verlagerten Kaufinteresse Alternativen erst ermöglicht. Am Beispiel von Picture lässt sich aufzeigen, wie so etwas laufen kann. Die Verantwortlichen der auf Produkte aus überwiegend recycelten Materialien fokussierten Marke begaben sich auf die Suche nach einem leistungsstarken, natürlichen Ersatz für das schlecht recycelbare und umweltschädliche Neopren. Gleichzeitig sollte das neue Material natürliche keinerlei Einbußen hinsichtlich der Funktion mit sich bringen. Die Lösung fand sich mit dem sogenannten „NaturalPrene“. Es besteht zu 85 Prozent aus Naturkautschuk, gewonnen auf malaysischen Hevea-Plantagen und zu 15 Prozent aus chlorfreiem, synthetischen Kautschuk. Picture ergänzt dieses Material in einem innovativen Veredelungsverfahren durch Mikro-Partikel, die die Dehnungsfähigkeit um ein Vielfaches erhöhen, womit die Performance identisch ist mit der eines konventionellen Neoprenanzugs. Darüber hinaus wird im Herstellungsprozess ausschließlich lösungsmittelfreier Kleber verwendet, was den Anzug auch verträglicher für den späteren Träger macht. Ein Surfanzug also, der aus einem natürlich nachwachsenden Rohstoff produziert wird und optimale Recyclingeigenschaften besitzt. Eine Sensation und ein CO2-Fußabdruck, der um die Hälfte kleiner ausfällt als der eines konventionellen Neoprenanzugs.

Die Anzüge aus NaturalPrene halten nicht nur ebenso warm wie ein konventioneller Neoprenanzug, sie unterscheiden sich auch optisch kaum.

Aber auch andere Firmen in der Wassersportindustrie entdecken die Themen Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit immer stärker für sich. Bereits kleine Schritte können bezogen auf die Summe der Produktionsmengen dabei enorme Auswirkungen haben. So versucht Mystic derzeit beispielsweise dem Problem des Verpackungsmülls neu zu begegnen und tüftelt daran, die Folien gegen Papier zu tauschen. Allerdings muss auch hier der Endverbraucher seinen Beitrag leisten. Suggeriert doch die durchsichtige Plastikfolie um das Produkt herum in gewisser Weise seine Reinheit. Wird die Anstrengung des Produzenten durch den Käufer also nicht positiv bewertet, hat er das Nachsehen, zumindest wirtschaftlich betrachtet. Die Umwelt wird es ihm hingegen garantiert danken. Würden zusätzlich die Händler den Verkauf von ökologisch hergestellten Produkten verstärkt unterstützen und forcieren, wären die Folgen auch für alle anderen Hersteller und Importeure klar. Sie müssten nachziehen und ebenfalls auf eine umweltfreundlichere Produktion umsteigen. Um das Thema Nachhaltigkeit auszudehnen, ist aber auch der zweite Schritt zu bedenken. Der, der nach der eigentlichen Nutzungsdauer erfolgt. Denn was passiert mit den Neoprenprodukten, die nicht mehr benötigt werden? Nach dem Verkauf über diverse private Verkaufsplattformen landet der Anzug schlussendlich im Müll. Recycling? Weitere Nutzung? Fehlanzeige.

Recycling: Bei WSM Funsport wird an einem Konzept gearbeitet, damit reklamierte und ausgemusterte Anzüge nicht mehr einfach nur im Müll landen.

Ein umfassendes und schlüssiges Konzept für den Umgang mit diesen Materialien existiert noch nicht. Als einer der größten Neoprenverkäufer Deutschlands habe ich mich – nicht zuletzt aufgrund der Beschäftigung mit dem Thema für diesen Artikel – auf die Suche nach einer geeigneten Lösung gemacht. Neoprenrecycling ist das Ziel. Und auch wenn die Idee nicht vollkommen neu ist, haben wir bereits angefangen, zielgerichtet ausgemusterten Anzügen eine zweite Bestimmung zu verleihen. Ob als Getränkekühler oder Schutzhülle für das Tablet. Bis Ende 2018 soll ein vollständiges Konzept stehen, damit reklamierte und aussortierte Anzüge nicht mehr arglos im Müllcontainer landen. Auch wenn es nur ein kleiner Beitrag ist, kommen wir so dem Ziel ein bisschen näher, als Natursportler auch wirklich die Natur zu schützen.