TITTEN UND MEGALOOPS

Wie viel Sex ist angemessen, um von potenziellen Kunden Aufmerksamkeit für ein Produkt zu erhaschen? Über die Vermarktung von Hightech-Sportgeräten mit der Macht von Testosteron.

Bildschirmfoto 2015-10-12 um 09.39.25Die weiche Abendsonne Floridas streichelt über die glänzenden Brüste von Cloé. Gleich wird es zu dunkel sein, um den flie­genden Fisch, der ihren Tanga ziert, noch auf den Fotos zu erkennen. Der Assistent ölt den vom Tanz an der Stange gestählten Körper noch ein letztes Mal ein. Die Fotos werden gut, das November­Bild im Kalender von Best Kiteboarding wird die Herzen vieler Kiter höher schlagen lassen. Gute zehn Jahre ist es her, als Best kurz nach dem Markt­ eintritt nicht nur mit Kites und Boards, sondern auch mit nackten Tatsachen provozierte und auf sich aufmerksam machte. Besonders die über mehrere Jahre produzierten Kalender mit Pin­ up­-Girls polarisierten.

WÄHREND WET-T-SHIRT- CONTESTS HEUTE ALLENFALLS NOCH VON DRITTKLASSIGEN BALLERMANN-SPELUNKEN VERANSTALTET WERDEN, GING DAS FREIZÜGIGE VERMARKTUNGSKONZEPT VON BEST VOR ZEHN JAHREN VOLLENDS AUF.

„Auch heute noch werden wir regelmäßig auf unsere Kalender angesprochen“, so Sebastian Heitmann, CEO von Best Kiteboarding. Kurz nachdem Best 2003 gegründet wurde, kam der heute 36­Jährige zu der US-­Marke. Die Vermark­ tung der neuen Produkte mit viel nackter Haut war gerade in den Staaten ein mutiger Schritt und trotz kritischer Stimmen etablierte sich Best in der Kiteindustrie schnell als Vorreiter dieser Strategie. „Wir waren damals lauter, wilder und aggressiver als alle anderen“, erinnert sich Heitmann. Best brachte eine Bikini­Linie auf den Markt, organisierte Stripperinnen aus umliegenden Clubs, die als Eventhostessen bei Veranstaltungen für den fliegenden Fisch warben und Wet­T­Shirt­Contests durften auf keiner Best­Party fehlen. Das Ganze gipfelte im Best­-Kalender, in dem sich Teamriderinnen, Strandschönheiten und Cloés aus einschlägigen Etablissements lasziv vor der Kamera räkelten. Der Kalender war ein voller Erfolg. Noch druck­ warm aus der Presse, war die Auflage stets schon verkauft.

Während Wet­-T­-Shirt­-Contests heute allenfalls noch von drittklassigen Ballermann­-Spelunken veranstaltet werden, ging das freizügige Vermark­tungskonzept von Best vor zehn Jahren vollends auf. Die Maßnahmen haben den Nerv der Ziel­ gruppe genau getroffen. Damals wie heute sind etwa 80 Prozent der Kiter männlich. Evolutionsbedingt funktionieren Frauen bei dieser Gruppe hervorragend als Blickfang, daran hat sich auch 2015 nichts geändert. Kein Wunder also, dass der Reifenhersteller Pirelli, ein Unternehmen mit einer vermutlich ebenfalls überwiegend männlichen Zielgruppe, nach wie vor an dieser Vermarktungs­ strategie festhält und jedes Jahr einen heiß begehrten Kalender herausbringt. Sex sells! Eine Aussage, der man selbst bei kritischer Sichtweise nur sehr eingeschränkt widersprechen kann. Nicht ohne Grund wurde der weltweite Um­ satz der Sexindustrie Ende 2013 auf acht Billionen Dollar geschätzt. Verständlich also, dass Sex ein be­ liebtes Marketinginstrument ist, auch im Kitesport.

Doch anders als noch vor zehn Jahren, wo man eine breite Masse an einen neuen Sport heranführen musste und um die Aufmerksamkeit aller gebuhlt hat, versuchen die Kitemarken heute ihr Werbe­ budget weitestgehend so zu investieren, dass Streuverluste vermieden und gezielt nur noch be­stehende Kite­-Communities erreicht werden. Diese engere Zielgruppe ist von nackter Haut wesentlich unbeeindruckter. Am Ende sind es nicht die hormon­ getriebenen Jünglinge, die ihr mageres Taschengeld in die Kiteshops tragen, sondern eher gut situierte Berufstätige, deren Pubertät schon einige Jahre zu­ rückliegt. Best und viele andere Marken haben daher inzwischen von der übertriebenen Sexualisierung im Marketing Abstand genommen.

Studien belegen, dass sich die Werbung generell in den letzten zehn bis fünfzehn Jahre von der Aussage „Sex sells“ entfernt. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. In vielen Ländern wird die Werbung von Aufsichtsgremien mit jedem Jahr strenger reguliert. So darf in einigen Ländern keine nackte Haut gezeigt werden, sofern diese nicht unmittelbar mit dem zu bewerbenden Pro­ dukt in Verbindung steht. Außer für Unterwäsche und Sonnencreme sind halbnackte Models also tabu. Andere Studien bestätigen zudem, dass die Übersexualisierung unserer Gesellschaft dazu führt, dass nackte Haut einfach nicht mehr so gut funktioniert, keinen so starken Schlüsselreiz mehr besitzt wie in Zeiten vor YouPorn und Co. In Ländern, in denen die Werbeaufsichtsräte nicht so streng regulieren, werden wir an jeder Ecke von frivol dreinblickenden Werbemodels ange­ flirtet. Die Wirkung ihrer perfekten Körper auf uns lässt zwangsläufig mit der Zeit nach und wir zeigen ihnen irgendwann die kalte Schulter.

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In einer fast schon überkorrekten Gesellschaft scheint es auch nicht mehr zeitgemäß zu sein, Frauen als Sexsymbole in der Werbung einzu­ setzen. Wer es doch versucht, wird den selbst ernannten Wächtern der Moral zum Fressen vorgeworfen. Jeder leicht anstößige Facebook­ Post kann im Handumdrehen einen massiven Shitstorm auslösen und Tausende Konsumenten vergraulen. Inzwischen trifft dies nicht nur für Marken, sondern auch für Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu, sogar für Wissenschaftler. Vergangenes Jahr wurde der Physiker Matt Taylor harsch kritisiert, weil er bei einer Presse­ konferenz ein Hemd trug, das Comiczeichnun­ gen von Bikini­Damen in sexy Posen zeigte. Seine Arbeit und der eigentliche Grund für die Pressekonferenz, eine im All Gesteinsproben sammelnde Sonde namens Rosetta, war mit einem Mal Nebensache und er wurde als Sexist abgestempelt. Die Kritik im Internet war so hef­tig, dass sich der Familienvater mit schwarzem Hoodie bekleidet unter Tränen bei der weibli­chen Weltbevölkerung entschuldigte. Kein Witz! Verständlich also, dass Unternehmen heute durch die Bank weg zurückhaltender agieren. LÄTTA­-Margarine sorgte Ende der 80er noch mit einer komplett nackten Dame in Werbeclips für Aufmerksamkeit, zog dem Model aber bereits Ende der 90er Shorts und ein Top beim Sprung ins kühle Nass an. Heute ist von nackter Haut nichts mehr zu sehen. Auch Best hat über die Jahre seine Rock­’n’­Roll­-Attitüde im Bezug auf Stripperinnen abgelegt. Nackte Brüste sind kein Produktmerkmal, erst recht nicht in Zeiten, in denen sich eine Sportart und ihr Material intensiv ausdifferenzieren. Der Marketingkampf um die Käuferschaft in der Kiteszene wird mitt­lerweile auf einer anderen Ebene ausgetragen, einer, auf der technische Merkmale die neuen Blickfänger darstellen.

NACKTE BRÜSTE SIND KEIN PRODUKTMERKMAL, ERST RECHT NICHT IN ZEITEN, IN DENEN SICH EINE SPORTART UND IHR MATERIAL INTENSIV AUSDIFFERENZIEREN.

Kites sind hochtechnische Luxusgüter, an die wir im wahrsten Sinne des Wortes unser Leben hängen. Nackte Haut und das damit erregte Aufsehen sind einfach nicht genug, um sie zu bewerben. Viel mehr kommt es darauf an, die technischen Besonderheiten der Kites und Boards hervorzuheben und nebenbei einen Life­style zu vermitteln, mit dem sich die Zielgruppe auch tatsächlich identifizieren kann. Obwohl die Erkenntnis, dass nackte Haut allein als Verkaufs­argument nicht ausreicht, überall angekommen zu sein scheint, wollen die Marketingabteilungen der Kitehersteller natürlich nicht gänzlich auf Sex als stilistisches Werbemittel verzichten. So hieß bei­ spielsweise das Teamvideo von Best im Jahr 2014 „Wet Dreams“. Der Titel sollte eine Anspielung auf die lebhafte Vergangenheit der Marke sein und war zudem mit einer sehr direkten Doppeldeutigkeit belegt, die sich als ungemein aufmerksamkeitsstark bewies. Insgesamt wurde das Video über eine halbe Million Mal angeklickt. Interessant dabei ist, dass das Video auf den firmeneigenen Kanälen nur gut 100.000 Klicks bekam, auf den Kanälen anderer, die das Video kopierten und ein wesentlich freizügige­ res-Teaser­Bild einsetzten, dagegen über 400.000­ mal angeklickt wurde. Ein Anzeichen dafür, dass die vermeintliche Übersexualisierung doch noch nicht zu einer vollständigen Abstumpfung der Konsu­menten geführt hat.

Bildschirmfoto 2015-10-12 um 09.56.08Auch die professionellen Kiter haben natürlich mitbekommen, dass man mit einem aufreizenden Startbild die Klickzahlen nach oben treibt und mit der Einblendung von „Butt Shots“ die Meute bei der Stange hält. Hannah Whiteleys Video „Kitesurfing in High Heels“ sammelte Klicks ohne Ende, wurde von anderen Profikiterinnen jedoch heftig kritisiert. Hannah würde sich für Views ver­kaufen und den ohnehin geringen Frauenanteil im Kitesport in Verruf bringen, war die einstimmi­ge Meinung der Kritikerinnen. Hannah konterte mit einem weiteren Video, das keine Frage an ihrem sportlichen Talent offen ließ. Männliche Kiter stehen in dieser Hinsicht weniger in der Kritik. Sie kommen trotz anspruchsvollerer Tricks und mehr nackter Haut allerdings meist nicht an die Video­-Klickzahlen ihrer Kollegin­nen heran und zerren inzwischen schon ihre Tinder-­Dates vor die Kamera, um für ein wenig mehr Sex­Appeal zu sorgen. Hauptsache das Video geht in der Flut an täglich neuen Clips nicht komplett unter, dafür ist so ziemlich jedes Mittel recht. Als alternatives Stilmittel, das den Testosteronwert der Zielgruppe genauso anspricht wie gut gefüllte Körbchen, hat sich Adrenalin bewährt. Kaum springt ein Kiter über einen Pier oder macht einen radikalen Megaloop mit Handlepass bei 50 Knoten, schnellen die Klickzahlen in die Höhe. Für die Kitehersteller sind diese Videos Gold wert, mehr noch als über nackte Haut in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückte Clips.

Denn sie zeigen schlussendlich am besten, wozu Fahrer und Produkt in der Lage sind. Aller­ dings müssen solche Stunts von den Fahrern in­itiiert werden. Aus Haftungsgründen und der Ver­ antwortung gegenüber den oft noch sehr jungen Teamfahrern verzichten die Kitemarken in der Regel darauf, solch lebensgefährliche Aktionen von ihren Ridern einzufordern. Klar ist aber auch, dass gerade Stars wie Ruben Lenten essenziell auf derart ikonische Stunt­-Aktionen angewiesen sind, um regelmäßig ihr Image zu pflegen und die nötige Aufmerksamkeit geschenkt zu bekommen.

EIN ALTERNATIVES STILMITTEL, DAS DEN TESTOSTERONWERT DER ZIELGRUPPE GENAUSO ANSPRICHT WIE GUT GEFÜLLTE KÖRBCHEN, IST ADRENALIN.

Bildschirmfoto 2015-10-12 um 09.56.23Während die Mehrheit der Werbetreibenden in der Kitebranche bei der aktiven Vermarktung von Produkten in Form von Anzeigen oder Media­ kampagnen vom Sex­sells­-Motto Abstand nimmt, sind es genau diese Inhalte, die ihre meist Anfang 20­jährigen Teamfahrer jeden Tag produ­zieren. Die Rider wissen, dass ein weiblicher Po, der jeden Tag drei Stunden durchs Kiten trainiert wird, besser aussieht als ein Blindjudge. Auch wenn dieser Vergleich etwas hinken mag, wir alle, die diese Videos und Bilder konsumieren, bestätigen mit unseren Klicks dieses Verhalten. Und das ist im Grunde auch gar nicht schlimm. Kitesurfen ist ein Sport, der am Strand stattfindet und dort trägt man Badehose und Bikini. Da Kitesurfen besonders auf professioneller Ebene ein Sport ist, der den Körper intensiv trainiert, sehen die Youri Zoons, Susi Mais und Hannah Whiteleys dieser Welt auch noch extrem gut in Bademode aus. Wieso sollte man sie also verstecken oder nicht gern ansehen?

Der Körper ist das Kapital der Fahrer. Sie sind zu Recht stolz darauf und präsentieren ihn gern. Zudem versuchen sie sich kontinuierlich einen Namen zu machen, sich quasi als Marke zu etab­ lieren, was bei der Masse an Talenten zunehmend schwieriger wird. Sex ist da ein willkommenes Mittel, um für Aufmerksamkeit zu sorgen und hat in den meisten Fällen auch Erfolg. Nur weil wir die Videos mit freizügigen Aufnahmen bevorzugt anklicken, geht diese Strategie auf. Und so lange sich das nicht ändert, wird nackte Haut immer ein Garant für Aufmerksamkeit sein.

Cloé darf sich trotzdem erst mal keine Hoff­nung machen: Eine Neuauflage des Best-­Girls­ Kalenders steht nicht in Sicht. Best wird sich wie die meisten anderen Kitemarken bei der Vermarktung zunehmend auf Produkte und ihre technischen Eigenschaften konzentrieren, da die teuren Sportgeräte im harten Wettbewerb um Neukunden nicht durch „Butt Shots” an Wer­tigkeit gewinnen. Sex bleibt uns als Eyecatcher natürlich trotzdem erhalten. Schließlich ist die Zielgruppe der Kitesurfer wesentlich weltoffener als beispielsweise das Klientel von Margarine mit geringem Fettgehalt. Ob das am Seelenheil liegt, welches mit dem Kitesurfen einhergeht, kann nur schwer belegt werden. Sicher ist nur, dass Kiter keine Physiker wegen ihrer Kleider­ auswahl mobben.

Ein Bericht aus der Ausgabe 46.