NOCH LANGE KEIN ALTES EISEN, ABER LÄNGST EINE LEGENDE
Auf der Suche nach Stars des Kitesurfens fällt der Name Aaron Hadlow in einem Atemzug mit Flash Austin und Robby Naish. In den Jahren 2004 bis 2008 hat der Engländer den World Cup dominiert wie sonst niemand vor oder nach ihm. Er hat den Double Handlepass Mobe 7 erfunden, die World Tour nach Belieben beherrscht und die Konkurrenz zum Saisonstart Jahr für Jahr mit neuen Tricks überrascht, die als Messlatte galten. 2005 demonstrierte er als erster Kitesurfer Doppel-Handlepasses im Wettkampf, was damals eine kleine Revolution bedeutete. Schon zu dieser Zeit, im Alter von 16 Jahren, galt Aaron als Trainingsmaschine und leistete sich einen Trainer, der mit ihm zu den Contests fuhr. Nicht die Regel im professionellen Kitesport. Im Alter von zehn Jahren stand Aaron durch seinen Vater angeleitet erstmals auf dem Kiteboard und wurde sechs Jahre später bereits zum ersten Mal Weltmeister im Freestyle. Nach seinem fünften Titel nahm er von der World Cup Tour jedoch Abstand, verlagerte seinen Fokus auf Promotions für seine Sponsoren und startete nur unregelmäßig bei größeren Events, wie dem Triple S in den USA. Nicht zuletzt war es einmal mehr der Brite, der den Stil im Wakestyle weiterentwickelte. Er flog den Kite bei seinen Tricks tiefer und tiefer, baute Grabs ein, was wiederum auf das Judging im World Cup Auswirkungen zeigte. Beein usst durch seinen Fahrstil fahren heutzutage World-Cup-Teilnehmer wieder fast ausnahmslos mit fester Bindung. 2010 erlitt der heute 26-Jährige einen Kreuzbandriss, sozusagen die Volkskrankheit der professionellen Freestyler, und musste einige Monate aussetzen. Ein Karriereende kam für ihn aber nicht infrage. Er kämpfte sich zurück. 2013 nahm er wieder an ersten World Cups teil, kletterte in der Rangliste auf den fünften Platz und ist seitdem auch immer ein Kandidat für einen Podiumsplatz, was er mit seinem Sieg in St. Peter-Ording im letzten Jahr unter Beweis stellte. Im vergangenen Sommer verließ er die britische Kitemarke Flexifoil, der er 13 Jahre lang als Teamfahrer treu gewesen war, und verstärkt nun das Team von North Kiteboarding. Im Interview spricht der stets durch Zurückhaltung und Sympathie aufgefallene Pro über die gestiegene Schwierigkeit Titel zu holen und darüber, dass nicht alles Gold ist, was glänzt.
13 Jahre mit ein und demselben Sponsor sind eine lange Zeit. Wie befremdlich ist es, jetzt in einer vollkommen anderen Struktur zu arbeiten? Bei North Kiteboarding habe ich eine gänzlich andere Firmendynamik vorgefunden. Das Verkaufsvolumen bestimmt letztlich die Strukturen, das ist auch in der Kitebranche der Fall. North Kiteboarding hat genau wie Flexifoil klein angefangen, ist als Marke aber nicht ohne Grund dort gelandet, wo sie heute steht. Ich bin sehr dankbar für meine Zeit bei Flexifoil, da mich die Jungs von den ersten Schritten an unterstützt haben, wo sie nur konnten. Durch die Größe der Firma hatte ich die Möglichkeit, wirklich in allen Bereichen meinen Ein uss einzubringen, viel Verantwortung zu übernehmen und eine Menge zu lernen. Aber in der heutigen Zeit ist es wirklich schwer, sich als kleinere Brand gegen die großen Marken zu behaupten. Die Aussage „Wer Geld verdienen will, muss Geld ausgeben“ trifft auch in der Kitebranche zu, weshalb mittelfristig aus meiner Sicht nur die großen Marken Chancen haben, sich effektiv weiterzuentwickeln.
Durch deine Verpflichtung hat North einen Vegas als Hadlow Pro Model auf den Markt gebracht. Wie sehr hat sich der aktuelle Schirm gegenüber dem Vorgänger verändert? Anfangs hatte der Kite, an dem wir arbeiteten, keinen Namen und auch keinen Platz innerhalb der Range. Die Basis kam vom Vegas, aber unser Ziel bestand eigentlich darin, einen Wakestylekite zu entwickeln, der die perfekten Voraussetzungen für das Pro-Team und mich besitzen sollte. Der alte Vegas war in einer kommerziellen Ecke angekommen und damit kein optimaler Wettkampfkite mehr.
Was macht das aktuelle Modell denn so attraktiv für Fahrer wie dich? Auf dem Level, auf dem wir uns im Wettkampf bewegen, haben wir sehr spezifische Ansprüche an den Schirm, was für viele Freizeitkiter schwer nachvollziehbar ist. Im Zentrum standen bei den Entwicklungsbemühungen die Steigerung von Popp und Slack. Also die Geschwindigkeit, mit der wir in einen Trick gehen können, und die Reduzierung der Leinenspannung, die zum Beispiel bei Handlepasses sehr wichtig ist. Diese Ziele haben wir relativ schnell erreicht. Das hat aber auch den Charakter des Kites dramatisch verändert. Da es nie zur Debatte stand, eine komplett neue Linie in die Range aufzunehmen, bestand die Herausforderung darin, ein Set-up zu nden, das Fortschritte gegenüber dem 2014er-Modell verzeichnen konnte. Es war alles andere als leicht, aber am Ende ist es uns gelungen, durch eine ausgeprägte Depower, gute Sprungleistungen und ein komfortables Bargefühl einen Kite in die Produktion zu geben, der wirklich für alle Free- und Wakestyler geeignet ist.
Auch im Boardbereich ist ein Hadlow Pro Model vorgestellt worden. Was zeichnet diese Wakestyle-Schnitte aus? Ich war ziemlich gespannt auf die Technologien und die Herangehensweisen in der Boardentwicklung. Die bisherigen Modelle von North Kiteboarding waren das komplette Gegenteil von dem, womit ich aufs Wasser gegangen bin. Ich bin bisher immer Boards mit starken Channels und runder Outline gefahren, aber der wohl wichtigste Unterschied lag in der Bauweise. Angefangen hat alles mit einem Prototypen des Team Series, den wir mit der Rockerkurve sowie der Konstruktion und den Flexeigenschaften des Gamblers kombinierten. Ich war ziemlich überrascht, wie viel Popp wir so ermöglichen konnten. Die Verwendung der speziellen Karbonfasern hat dermaßen gute Rückstellkräfte ermöglicht, dass ich tatsächlich höher und besser springen konnte als je zuvor. Verglichen mit dem letzten Team Series ist das Board steifer und auch die torsionale Verwindung wurde intensiv reduziert. Gleichzeitig haben die tieferen Channels zu einem besseren Grip geführt. Verglichen mit meinem letzten Board fallen sie zwar immer noch gering aus, dafür ist die Geschwindigkeit bei diesem entscheidend besser. Für meine Signature-Version waren dann nur noch Kleinigkeiten zu ändern. Breitere Tips machen das Board aggressiver, während die rundere Outline im Mittelteil besser auf die Verwendung von Boots ausgelegt ist.
Kitesurfen mit Freunden an den windigsten und schönsten Spots der Welt, dazwischen ab und zu ein Wettkampf: Hört sich nach einem absoluten Traum für jeden Wassersportler an. Es ist nicht alles nur Glanz und Glamour, aber grundsätzlich kann ich da nicht widersprechen. Ich führe zweifellos ein schönes Leben, das mich glücklich macht. Insbesondere weil ich mein eigener Chef bin und alles nach meinen zeitlichen Vorstellungen machen kann. Es ist aber bei Weitem nicht immer nur „Happy Sunshine“ angesagt und es steckt viel mehr Arbeit dahinter, als es der Betrachter meist vermutet. Der Preis besteht vor allem darin, ständig unterwegs zu sein, was es schwer macht, irgendwo anzukommen. Die Tour zu fahren, bedeutet auch, an weniger schönen Spots bei schlechtem Wetter oder Kälte auf dem Wasser zu sein und an Orten rumzuhängen, an denen man eigentlich gar nicht sein möchte. Klar, verglichen mit einem Nine-to-Five-Job im Supermarkt ist das schon ein bisschen spannender, aber auch wirklich nicht für jedermann das Wahre.
Deine Knieverletzung hat dich vor einigen Jahren weit zurückgeworfen. Wie hast du es geschafft, trotz gestiegenem Level im World Cup zurückzukommen? Der Weg zurück in den World Cup war die härteste Herausforderung,
der ich mich je stellen musste. Ich befand mich in einem wirklich guten Trainingszustand, mit dem ich auch den in 2012 vorgenommenen Formatänderungen bestens gewachsen war, fühlte mich sicher und war extrem motiviert. Dann flog mir sozusagen mein Knie um die Ohren. Es ist schwer, sich vorzustellen, wie weit man in einem Jahr Pause zurückfällt, während die anderen Athleten Praxis sammeln und sich weiterentwickeln. Aber selbst wenn man dann den Weg zurück aufs Board gefunden hat, ist noch längst nicht wieder alles in Butter. Es war verdammt harte Arbeit, wieder Anschluss an die Topfahrer zu nden, weil ich zunächst auch volles Vertrauen in mein Knie zurückgewinnen musste. Durch die geänderten Bewertungskriterien auf der Tour ist eine ernst zu nehmende Platzierung nur mit vollstem Risiko und verdammt radikalem Fahrstil möglich. Deshalb hat es mich fast zwei Jahre gekostet, wieder auf dem Level von vor der Verletzung anzukommen.
Trotzdem bist du 2013 nur zwei Monate, nachdem du wieder kiten konntest, schon auf der Tour gestartet. Mit welchen Erwartungen? Im Grunde bin ich auf diesen ersten Event 2013 nur gefahren, um die Konkurrenz abzuchecken. Ich hatte über den Winter nicht viel mitbekommen und wollte sehen, wo die anderen Fahrer stehen. Mein Comeback war eigentlich für einen Zeitpunkt mit deutlich besserem physi- schem Zustand geplant. Als ich dann am Wasser stand, ging die Diskussion über das Für und Wider in meinem Kopf los. Am Ende war es eine Spontanentscheidung, motiviert durch den Gedanken, dass ich irgendwann ja anfangen müsste, also warum nicht sofort. Leichtsinn spielte dabei aber keine Rolle. Mein Knie war stabil und ich befahl mir selbst sofort auszusteigen, wenn es zu Überlastungsreaktionen gekommen wäre.
Wie ging es dann weiter? Ich hätte nie auch nur gewagt zu träumen, dass es so kommen könnte, aber es lief wirklich sehr, sehr gut. Im Grunde war das Wichtigste für mich der erste Heat, dem ich mit enormer Aufregung entgegen- blickte. Ich wusste, dass ich meine Performance nur abliefern konnte, wenn sich ein sicheres und gutes Gefühl auf dem Wasser einstellt. Und genau das passierte. Ich schaffte es ins Hauptfeld, wo ich auf den Weltmeister Youri Zoon traf. Mit geringsten Aussichten auf Erfolg ging ich an den Start und hatte meine Erwartungen weiterzukommen eigentlich schon abgelegt. Doch dann konnte ich ihn tatsächlich schlagen und startete schlussendlich sogar im Finale. Dieser Moment war unbeschreiblich für mich, vielleicht einer der wichtigsten in meiner Karriere, der mir viel Mut und Zuversicht gegeben hat.
Gibt es potenzielle Kandidaten, die das Zeug dazu haben, die Tour in naher Zukunft so zu dominieren, wie du es zwischen 2004 und 2008 getan hast? Das ist wirklich ganz schwer zu sagen. Es sind so viele Talente auf extrem hohem Level am Start, weshalb sich jedes Jahr mindestens eine Handvoll Fahrer ernsthafte Chancen auf den Titel ausrechnen können. Ich sehe eine junge Generation von Fahrern aufstreben, die sich in Tarifa gegenseitig hart pusht und den Fortschritt im Freestyle damit wahnsinnig beschleunigt. Liam Whaley hat zum Beispiel seinen ersten Tourstopp mit 17 gewonnen. Man muss kein Prophet sein, um seine Chancen auf einen zukünftigen Weltmeistertitel hoch einzustufen. Vorausgesetzt, er verletzt sich nicht. Auch bei den ganz jungen Fahrern gibt es vielversprechende Talente wie Tom Bridge. Mit gerade mal 13 Jahren beherrscht er nahezu alle angesagten Tricks. Die Tour allerdings über mehrere Jahre zu dominieren, wird bei einem so breit aufgestellten Feld an möglichen Weltmeistern wohl eher noch schwerer werden, als es jetzt schon ist.
Wie haben sich die Voraussetzungen, die ein Fahrer heute mitbringen muss, um Weltmeister zu werden, seit deinem letzten Titel 2008 geändert? Ich würde sagen, es sind mehr oder weniger dieselben. Man sollte Konzentration, Motivation und Passion mitbringen, schon möglichst früh in den Sport kommen, Talent besitzen und im besten Fall gute Unterstützung von der Familie haben. Ich hatte die Möglichkeit, schon in jungen Jahren in den Sport hineinzuwachsen, und zwar zu einer Zeit, als sich der Sport auch selbst noch sehr schnell entwickelte. Das war ein entscheidender Vorteil gegenüber heute, weil ich im Prinzip selber intensiv die Entwicklung im Freestyle beeinflussen konnte. Heute muss ich deutlich härter daran arbeiten, den Toplevel aufrechtzuerhalten. Ich bin eben nicht mehr der Jüngste. Das von einem 26-Jährigen zu hören, wird manche zum Lachen bringen, aber ich spüre den körperlichen Unterschied im Wettkampf ganz extrem. Ich stecke misslungene Landungen, bei denen hohe Kräfte wirken, beispielsweise deutlich schlechter weg als noch vor fünf, sechs Jahren. Meinen Vor- teil gegenüber den zehn Jahre jüngeren Fahrern sehe ich in der Routine, der gesteigerten mentalen Kraft und der Disziplin. Mit diesen Waffen bin ich durchaus noch konkurrenzfähig (lacht).
Dass heute wieder nahezu alle Fahrer im World Cup auf Boots setzen, hat viel mit dir zu tun. Steigert diese Entwicklung die Gefahr für Knieverletzungen? Das denken tatsächlich viele Menschen, weil man ja sozusagen
mit den Füßen fest auf dem Board verschraubt ist. Ich sehe das allerdings anders. Auch in Schlaufen sind die Gefahren für Verletzungen an den Knien oder Fußgelenken hoch, weil viel mehr Spielraum besteht in hohen Belastungsmomenten auf dem Pad zu verrutschen. Kevin Langeree und viele andere Kiter haben sich ihre Kreuzbandrisse beim Kiten mit Schlaufen zugezogen. Boots ermöglichen extremere, höhere Sprünge, was zu entsprechend härteren Landungen führt. Damit sind die auf den Körper und die Gelenke wirkenden Kräfte natürlich auch höher. Die Richtung, in die sich der Freestyle entwickelt, fordert einfach körperlichen Tribut bei den Fahrern, aber das gehört eben zum Sport dazu, auch wenn das aus gesundheitlicher Sicht ziemlich unglücklich ist.
Im Unternehmen eines Kiteherstellers einen festen Job anzunehmen, kommt für dich offensichtlich noch nicht infrage. Auf der anderen Seite wirst auch du nicht jünger und gehörst bereits zu den ältesten Fahrern im Freestyle. Wie lange siehst du dich noch als aktiven Wettkämpfer? Ich kam zu North und hatte eine Menge zu bieten, wie ich denke. Trotzdem muss ich natürlich meinen Weg nach oben erarbeiten wie jeder andere auch. Wir haben bei unseren Gesprächen nicht nur über eine kurzfristige, sondern auch über eine langfristige Kooperation gesprochen, denn natürlich weiß ich, dass meine Karriere als Aktiver nicht mehr endlos weitergehen kann. Ich bin aktuell extrem motiviert und habe Biss, noch einen sechsten Weltmeistertitel zu holen. Ich weiß, dass ich es schaffen kann, und werde sicher noch zwei bis drei Jahre dabeibleiben. Ebenso klar ist mir, dass der Zeitpunkt kommen wird, an dem ich den jüngeren Fahrern nichts mehr entgegenzusetzen habe. Aber dann gibt es andere Optionen. Ich arbeite gern hinter den Kulissen in der Produktentwicklung, habe eine Passion für Videoproduktionen und bringe mich gern bei der Organisation von Events oder der Nachwuchsförderung ein. Was genau die Zukunft bringen wird, werden wir sehen, wenn es so weit ist. Ich will auf jeden Fall den Absprung schaffen, bevor ich mich auf dem World Cup blamiere (lacht).
Wie investierst du in Hinblick auf deine Zukunft die Preis- und Sponsorengelder? Naja, selbst als sehr erfolgreicher Fahrer ist es nicht so, dass beim Kiten am Ende Unsummen übrig bleiben, mit denen man große Investitionen tätigen könnte. Das ganze Jahr über der Tour hinterherzureisen ist finanziell ziemlich aufwendig. Flüge, Hotels und Mietwagen schlagen schon ganz gut zu Buche. Ich schätze, es gibt daher etwa ein halbes Dutzend Fahrer, die wirklich akzeptabel vom Kitesurfen leben können. Ich habe glücklicherweise über Jahre viele Wettkämpfe gewonnen und eine aus meiner Sicht sehr gute Entscheidung getroffen, indem ich ein Haus kaufte.
Gibt es für dich etwas Wichtigeres als Kitesurfen in deinem Leben? Ganz klar, Familie und Gesundheit kommen noch weit vor dem Sport. Beidem möchte ich mich auch unbedingt wieder mehr widmen, wenn ich mich mit dem sechsten Weltmeistertitel zur Ruhe setze (lacht)
Dieses Interview ist in der Ausgabe Nr. 45 erschienen.