Geballte Frauenpower

Ob Air Games oder Freestyle-Weltmeisterschaft, bei den Frauen dominierte 2018 das Team Duotone die Podien rund um den Globus. Über das Geheimnis ihres Erfolges.

Brasilien, insbesondere der windige Nordosten, gilt als Talentschmiede für Kite­surfer. Carlos Mario wurde dort geboren und entdeckt. Mittlerweile dominiert er konsequent den Freestyle-World-Cup bei den Männern. Eine ähnliche Zukunft peilte die ebenfalls aus Brasilien stammende Mikaili Sol an, als sie im vergangenen Jahr entschied, sowohl die Air Games als auch die Freestyle-Tour (WKC) mitzufahren. Was dann passierte, hat fast etwas Märchenhaftes. Die zu Beginn der Saison noch 13-Jährige holte ein Pfund nach dem nächsten raus. Sie übertrumpfte die teilweise mehr als doppelt so alte und mit deutlich mehr Erfahrung ausgestattete Konkurrenz scheinbar nach Belieben und holte sich nicht nur einen, sondern gleich beide Weltmeistertitel. Und das im ersten Jahr auf der Tour. Von einem absoluten Ausnahmetalent ist die Rede. Man fühlt sich fast ein wenig an die junge Gisela Pulido erinnert, die ähnlich früh auf dem World Cup auftauchte und so manch alteingesessenen Profi das Fürchten lehrte. Doch Mikaili Sol, die alle nur Mika rufen, ist anders. Sie wirkt professioneller und deutlich besser vorbereitet auf das, was da nun kommen wird, als es die junge Spanierin damals war. Das Ausnahmetalent besuchte bereits die World Class Kiteboard Academy und hat den Sport schon längst zu ihrer Profession gemacht. Allein wäre das jedoch alles nur schwer zu schaffen gewesen, erst recht in diesem Alter. Neben Fabio Ingrosso, ihrem Trainer, kann Mika auf ihre Mitstreiterinnen im Team Duotone zählen.

Die Niederländerin Pippa van Iersel ist kürzlich erst dazugestoßen, gilt ebenfalls als großes Talent und teilt mit Mika sowohl den Sponsor als auch den Trainer. Gemeinsam mit Hannah Whiteley, die verglichen mit den anderen beiden schon eher zu den alten Hasen zählt, bilden sie ein Trio, das 2018 bei den GKA Air Games ein Dauerabo auf die Podiumsplätze hatte. Sie wohnen während der Tour zusammen, trainieren zusammen und sind mittlerweile unzertrennlich. Genau deshalb haben wir uns mit ihnen zum Gruppeninterview getroffen.

Herzlichen Glückwünsch! Mika, ­Doppelweltmeisterin 2018, wie fühlt sich das an?
Mika: Ich bin wahnsinnig glücklich und auch ein wenig überrascht. Es war mein großes Ziel, aber ich habe es kaum für möglich gehalten, dass ich es dieses Jahr schon schaffen könnte. Und dann auch noch gleich auf beiden Touren. Um ehrlich zu sein, habe ich den Titel Jahre später erwartet.

Im Alter von 13 Jahren hast du die Konkurrenz nach Belieben dominiert. Nicht nur wir, auch deine Konkurrenz kam aus dem Staunen kaum noch heraus. Wie geht das?
Mika: Ich hatte zweifellos harte Konkurrentinnen, aber ich habe es geschafft, auf allen Veranstaltungen mein Ding durchzuziehen und genau das zu zeigen, was mir auch im Training gelingt. Dazu hat mein Trainer, Fabio Ingrosso, einen großen Teil beigetragen. Er ist immer mit am Strand und hilft mir dabei, eine effektive Strategie zu entwickeln. So konnte ich stets mit einem festen Plan in die Heats gehen, der sich am Ende absolut ausgezahlt hat.

Nur wenige Kitesurfer haben einen so professionellen Trainingsbackground wie du. Die meisten reisen in der Saison den Wettkämpfen hinterher und versammeln sich im Winter in kleinen Grüppchen an den einschlägigen Spots, um gemeinsam zu trainieren. Dabei sind unterm Strich aber die meisten auf sich allein gestellt. Kann man heute aus deiner Sicht ohne diesen professionellen Hintergrund im Kitesurfen sportlich überhaupt noch so weit kommen?
Mika: Das ist sicher möglich. Aber gerade für junge Fahrer wie mich bietet es enorme Vorteile, einen erfahrenen Trainer an der Seite zu haben, der weiß, worauf es ankommt, der einen analytischen Blick von außen auf die Dinge wirft und so einen großen Teil dazu beiträgt, dass man als Athlet lernt, worauf es im Training als auch bei den Wettkämpfen ankommt. Fabio Ingrosso ist der beste, den ich mir dafür vorstellen kann. Er hing schon an einem Kite, als die Welt von diesem Sport noch nichts wusste, und bringt enorme Kompetenz mit. Ich glaube nicht, dass ich ohne ihn dort wäre, wo ich heute bin.

Gemeinsam mit Hannah Whiteley und Pippa van Iersel hast du dir 2018 sämtliche Podiumsplätze bei den GKA Air Games­ geteilt. Ihr seid alle drei im Team von Duotone und werdet auf den Wettkämpfen auch alle drei von Fabio betreut. Ist das euer Erfolgsrezept?
Mika: Es ist wirklich klasse, Pippa und Hannah im Duotone-Team zu haben. Die beiden sind fantastisch. Obwohl ich noch sehr jung bin, begegnen sie mir mit Respekt, nehmen mich für voll und sind immer bereit, mir zu helfen.

Es fühlt sich für mich an, als hätte ich zwei große Schwestern geschenkt bekommen.

Pippa: Das geht mir genauso. Ich fühle mich sehr mit Hannah und Mika verbunden, da wir während der meisten Events zusammen sind, uns gegenseitig helfen und viel Spaß miteinander haben. Das gibt unheimlich viel Halt, den man braucht, wenn man ständig unterwegs ist und Familie und Freunde eher selten sieht. Am Ende sehe ich das auf jeden Fall als einen der wichtigsten Gründe für den Erfolg in der letzten Saison.

Wenn man euch zusammen erlebt, wird diese besondere und innige Beziehung zwischen euch sofort spürbar. Dennoch kann am Ende ja nur eine ganz oben auf dem Treppchen stehen.
Hannah: Das ist absolut richtig und das wissen wir natürlich auch alle drei. Dennoch profitiert jeder von uns von dieser Situation. Wir trainieren zusammen und motivieren uns dabei auch gegenseitig auf dem Wasser. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir im Wettkampf dann harte Konkurrentinnen sind. Aber deshalb muss das Ganze ja nicht komplett verbissen sein.

Wie wirkt sich eure innige Beziehung denn neben der guten Stimmung konkret leistungsfördernd aus?
Pippa: Für mich besteht ein Aspekt darin, dass wir alle für denselben Sponsor fahren. Ich bin als letzte von uns dreien ins Team gekommen und hatte entsprechend viele Fragen zu den Einstellungen für den Kite. Mika und Hannah haben mir wirklich viel dabei geholfen, das Beste aus meinem Material und damit auch aus mir herauszuholen. Außerdem unterstützen wir uns während der Heats gegenseitig vom Strand aus, zumindest wenn wir nicht gerade gegeneinander fahren (lacht). Es gibt viel Ruhe und Sicherheit zu wissen, dass da jemand am Strand steht, der dir bei schwankenden Windbedingungen den richtigen und vor allem perfekt getrimmten Kite zum Wechseln gibt.

Hannah, du bist mit deinen 26 Jahren die Älteste im Team. Kommen dir damit eine besondere Position und bestimmte Aufgaben zu?
Hannah: Definitiv! Zudem bin ich seit über zehn Jahren bei den Contests dabei, bringe also deutlich mehr Erfahrung mit als Pippa und Mika. Während der Wettkämpfe wenden sich die beiden daher häufig an mich, um Ratschläge zu bekommen. Pippa wird zum Beispiel recht schnell nervös und kommt dann auf mich zu, um meine Meinung zu hören oder sich ein bisschen runterholen zu lassen.

Mit verlässlicher Regelmäßigkeit hat Mika bei den Air Games 2018 gesiegt, Hannah den zweiten Rang belegt und Pippa das Treppchen für Duotone vervollständigt. Habt ihr Absprachen getroffen?
Hannah: Einige unserer Vorläufe waren schon sehr nah beieinander, aber wir haben es noch nicht geschafft, unsere Positionen zu ändern.

Mika: Taktische Absprachen gab es in diesem Sinne nicht. Jeder von uns möchte natürlich die Nummer eins auf dem Podium sein.

Pippa: Trotzdem nimmst du immer den ersten Platz ein, Mika! Ich glaube insgeheim, dass Hannah und Mika eine Vereinbarung getroffen haben, um mich auf dem ewigen dritten Platz zu halten und so den Sieg unter sich ausmachen zu können (lacht). Nein, ich mach nur Scherze. Natürlich will jeder sein Bestes geben und am Ende auch Champion sein. Mal sehen, wer dieses Jahr die Nase vorn hat!

2019 wird das Format des GKA-Freestyle­-World-Cups an das der Air Games angelehnt sein, auch wenn der Freestyle-Aspekt den Schwerpunkt darstellt. Eine gute Entwicklung?
Mika: Ich denke schon. Wir müssen einfach auf alle Bedingungen vorbereitet sein. Es kann schwacher bis mittlerer Wind sein, was Freestyle leichter macht, und es kann superstarker Wind sein, was Loops und andere Big-Air-Tricks leichter macht. Um beides abdecken zu können, muss man ein ausgezeichneter Allround-Kitesurfer sein. Meine Stärke liegt ganz klar im Freestyle, aber ich habe es geschafft, mir ein paar coole Oldschool-Tricks anzueignen und Loops zu lernen. Ein breiteres Portfolio zu haben, finde ich nicht schlecht.
Pippa: Für mich ist es ein perfektes Format, weil ich immer gern Kiteloops und Freestyle gemacht habe. Es gab für uns Frauen bislang keine internationalen Events, auf denen wir hohe, extreme Kiteloops zeigen konnten. Das ist jetzt anders. Wir können endlich den Beweis antreten, dass wir Frauen auch extrem kiten können.

 Eine gute Entwicklung, besonders angesichts der Performance, die ihr alle drei in dieser Disziplin 2018 abgeliefert habt. Aber gibt es denn wirklich gar keinen Neidfaktor bei euch?
Hannah: Ich wusste, dass diese Frage noch kommt (lacht). Nein, und da kann ich ganz klar für uns alle sprechen, den gibt es nicht. So gern ich Mika im Wettkampf besiegen würde, so sehr beeindruckt sie mich immer wieder mit ihrem herausragenden Talent. Es fühlt sich großartig an, mit ihr und gegen sie zu fahren. Aber Neid, insbesondere bei uns im Team, den gibt es nicht.